Gelingende Kommunikation ist nicht alles, aber ohne gelingende Kommunikation ist alles nichts!

Kommunikationskompetenz gehört zu jenen fachübergreifenden Schlüsselqualifikationen, deren Stellenwert zur Aufrechterhaltung der eigenen psychischen Gesundheit sowie zur motivierenden und erfolgreichen Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden, Kundschaft und dem Umfeld kaum hoch genug eingestuft werden kann. In schwierigen und konfliktreichen Situationen über geeignete kommunikative Mittel zu verfügen, stärkt sowohl die persönliche Souveränität als auch die Fähigkeit, Gespräche erfolgreich führen zu können.
Um kompetent zu kommunizieren, spielt nicht nur Wissen auf der Sachebene eine Rolle, sondern immer auch die kritische Betrachtung der eigenen Reaktionsmuster und ein achtsamer Umgang mit dem Gegenüber. Das bekannte Sprichwort „Der Ton macht die Musik.“ bringt die große Bedeutung der Thematik und die Notwendigkeit, psychologisch wichtige Kommunikationsaspekte zu beachten, auf den Punkt.
Vielleicht denken Sie jetzt: „Was will sie von mir? Mein Fachgebiet ist die Akustik, nicht die Gesprächstherapie.“ Die gute Nachricht ist: Therapeutische Kompetenz ist keine neue erforderliche Basisqualifikation. Doch wir alle kommunizieren, und schon mit ein paar wenigen psychologischen Aspekten im Hinterkopf, kann Kommunikation besser gelingen. „Verstehen“ spielt in Ihrer Arbeit eine besondere Rolle. Sie unterstützen und beraten Menschen im Bereich der Hörakustik, auch mit dem Ziel, Kommunikation zu ermöglichen. „Spezialisiertes Counseling“ nennt man das heute. Gemeint ist eine professionelle Beratung, um Problemlösungs- und Veränderungsprozesse zu unterstützen und zu begleiten (Migge, 2005).
Offene Kommunikation in der Hörakustik
Gerade in der Hörakustik ist eine offene Kommunikation über Möglichkeiten und Grenzen von zentraler Bedeutung, um falschen Erwartungen entgegenzuwirken, die es bei Betroffenen und ihren Angehörigen gibt, und die oft auch in der Medien- und Werbewelt verbreitet werden. Bei der Anpassung von Hörsystemen ist eine genaue Aufklärung darüber, welche fundamentale Bedeutung das Gehör hat und wie es funktioniert, sehr wichtig. Ebenso muss erklärt werden, was Hörsysteme vermögen, aber auch, was sie nicht leisten können (Becker, 2012).
– Sie verstehen sich – Hunde im Schnee. Foto: C. Funk
Dieses Zitat stammt aus der Feder des berühmten Psychotherapeuten und Kommunikationstheoretikers Paul Watzlawik. Psychologisch betrachtet braucht es nicht nur kommunikatives „Handwerkszeug“ zur zielorientierten Gesprächsführung, sondern auch die achtsame Bewusstwerdung der Besonderheiten, die es in Bezug auf die Kommunikation speziell mit Schwerhörigen gibt.
Die fundamentale Bedeutung des Hörens für die alltägliche Lebensorganisation und den Zugang zu der sozialen Welt bleibt für die Mehrzahl der Menschen in der Regel weitgehend unreflektiert, bis Berührungspunkte zum Thema Hörschädigung auftauchen (Gebhardt, C. 2006). Sie als Fachleute wissen allerdings genau, dass das Thema Kommunikation für Ihre Kundschaft oft sehr schwierig oder sogar leidvoll ist. Wenn es selbstverständlich ist, gut hören zu können, sich sprachlich leicht zu verständigen, Geräusche zu erkennen und zu identifizieren, stellt sich die Frage nach den Auswirkungen einer Hörschädigung nicht. Ganz anders ist es, wenn andere immer häufiger gebeten werden müssen, das eben Gesagte noch einmal zu wiederholen oder wenn es zunehmend schwerfällt, in einem „Stimmengewirr“ den Gesprächspartner herauszufiltern, weil das Sprachverständnis vor allem bei lärmendem Hintergrund eingeschränkt wird. Sie kennen sicherlich aus Ihrem Arbeitsalltag Erzählungen der Betroffenen, an die Sie jetzt vielleicht denken. Manche fühlen sich so massiv eingeschränkt, dass sie sich aus ihrem gewohnten sozialen Beziehungsnetz zurückziehen. Die Folgen können ein Ende der Kommunikation bis hin zur sozialen Isolation sein.
Was in der Kommunikation mit Schwerhörigen aus psychologischer Sicht wichtig ist, möchte ich Ihnen mit diesem Blogbeitrag näherbringen.
Zunächst ist wichtig, sich bewusst zu machen, welche Rolle die Hörfähigkeit spielt und auf welche Fallstricke in der Kommunikation entstehen.
Kommunikation hält wie ein Seil die Verbindung zum Gegenüber
Was ist altersgerechte Hörfähigkeit und welche Rolle spielt das in der Kommunikation?
Hörstörungen stellen die am häufigsten von Menschen über 60 Jahren beschriebene Behinderung dar (vgl. Fozard 2001). Einbußen der Hörfähigkeit gehören zu den typischen Belastungen im höheren Erwachsenenalter. Gewöhnlich gilt das 65. Lebensjahr als Grenze zwischen „alt“ und „nicht alt“. Schon im mittleren Erwachsenenalter lässt das Gehör bei vielen Menschen erst unmerklich, dann immer deutlicher nach.
Betrachtet man die Altersentwicklung und die statistische Datenlage so zeigt sich, dass der Anteil der über 60-Jährigen, die den „Baby Boomern“ zugeordnet werden können, stetig wächst und voraussichtlich im Jahr 2025 mit 10,3 Mio. Menschen den größten Teil in der Altersgruppe 65–75 Jahre darstellen wird (Schmidt et. al. 2013). Die „Baby Boomer“ sind deutlich technikaffiner als die Jahrgänge vor ihnen: Das Arbeiten mit Laptop oder Tablet, die Nutzung von Internet oder Smartphones gehört für einen Großteil zur täglichen Routine. Dadurch entstehen neue Anforderungen und Ansprüche einer Generation an eine Hörsystemversorgung im Fachgeschäft. Ganz neue Paradigmen werden dadurch entstehen.
Auch wenn das Alter eine Rolle spielt, eine Unterscheidung nach altersgerecht und pathologisch fällt wegen der großen Variabilität sehr schwer. Unter psychosomatischen Gesichtspunkten sind die Erkrankungen des Ohres heterogen. Das Gehirn benötigt Schall und es braucht die gegensätzliche Wahrnehmung von Ruhe und Schall, um aktiv zu sein (Marek, 2009) Nach Hellbrück (2004) gelten in den meisten audiologischen Untersuchungen Personen um 60 Jahre als alt. Allerdings können bereits ab einem frühen Alter irreversible Veränderungen im Hörsystem auftreten. Fest steht, dass das Gehör bei einem großen Teil der Menschen im Laufe der Zeit nachlässt. Ebenso entstehen mit zunehmendem Alter vermehrt chronische Krankheiten, im höheren Alter entwickelt sich häufig eine Multimorbidität (Mayer & Baltes, 1999).
Das biologische Altern geht einher mit einer ganzen Reihe von zentralen Veränderungen. Diese spielen auch für die Psyche eine wichtige Rolle und wirken sich auf psychologisch wichtige Aspekte in der Kommunikation aus. Im Alter verändert sich vorwiegend die Analysefähigkeit komplexer Schallmuster, welche das Hörsystem vor eine schwierige Aufgabe stellen, da dieses versucht, aus dem Schall eine angepasste sinnvolle Gestalt zu konfigurieren (vgl. Hellbrück, 2004). Selbst modernste Technik kommt nicht an die Filter- und Analysefähigkeit eines fitten Gehirns heran. Besonders deutlich wird dies bei der Sprachverarbeitung. Gerade bei älteren Personen lässt sich feststellen, dass das Hören und die Kommunikationsfähigkeit unter Störschall deutlich mehr beeinträchtigt zu sein scheinen, als die Hörschwelle allein dies erwarten lässt. Am besten kann dieses Phänomen als dasjenige von „guthörenden Schlecht-Verstehern“ beschrieben werden. Die mehr der zentralen Hörverarbeitung zuzurechnenden Fähigkeiten der Stör- und Nutzschall-Trennung sind abhängig von intakter efferenter Bahnung und Hemmung und gleichzeitiger Verschaltung in den zentralen Neuronen der Hörbahn (Willot et al., 2001). Degenerative Prozesse dieser Strukturen beeinträchtigen dann tatsächlich in stärkerem Maße die Kommunikation und das Hören im Umgebungslärm. Auch hier gibt es jedoch eine sehr große Variabilität in der Ausprägung der jeweiligen Störung. Von „typischen“ altersspezifischen Veränderungen kann nicht ausgegangen werden (Gebhardt, 2006).
Die Kommunikation von Schwerhörigen ist oft mit Schwierigkeiten und Missverständnissen Verbunden (Schmeling, 1997). Kommunikative Prozesse werden durch eine Hörschädigung eingeschränkt oder behindert. So berichten Betroffene nicht ausschließlich über Hör- sondern vor allem über Kommunikationsprobleme (Fink 1995). Denn insgesamt wirkt sich eine Hörschädigung auf das Verstanden werden und das Verstehen aus.
Gute Kommunikation macht sich bezahlt
Gute Kommunikation zwischen schwerhörigen Menschen und Akustiker*innen macht sich bezahlt. Es konnte aufgezeigt werden, dass die subjektive Optimierung der Hörgeräteeinstellungen zu einer Steigerung der Zufriedenheit mit den Hörgeräten führte (Ross, 2023). Dies ist nicht nur den technischen Fortschritten zuzuschreiben, sondern ich vermute das liegt auch daran, dass es eine Entwicklung darin gibt, mehr auf die Kundenbedürfnisse einzugehen. Genau darin liegt auch eine große Chance. Durch gute Kommunikation gute Arbeit zu machen und die Lebensqualität und Zufriedenheit erhöhen zu können. Ein subjektiv wahrgenommener, größer audiologischer Nutzen hat auch eine signifikante Erhöhung der Tragedauer von Hörgeräten bewirkt (Ross R., Habib et. al. (2019, Johansen et. al. 2017).
Aus Ihrem Berufsalltag als Hörgeräteakustiker wissen Sie, der Hörverlust verändert den Alltag aller Beteiligten, dies wird immer wieder dann deutlich, wenn Angehörige mit zur Anpassung von Hörgeräten kommen. Wenn dann die betroffene Person nach der Versorgung wieder besser hört, muss sich oft auch die Familie wieder auf eine neue Situation einstellen. Angehörige versuchen häufig, das fehlende Hörvermögen ihres Gegenübers auszugleichen. So werden Telefongespräche z.B. von der Ehefrau übernommen. In vielen Fällen hören die Angehörigen Radio und Fernsehen lauter als für sie nötig. Angehörige müssen häufig Sätze wiederholen und so als „Dolmetscher“ fungieren. Ich bin approbierte Psychotherapeutin und habe eine Praxis für Verhaltenstherapie, biete aber auch systemische Paartherapie an, auch hier spielt das Thema „sich verstehen“ eine wichtige Rolle: Meine Approbation und die Eintragung ins Arztregister habe ich 2007 erhalten. Seitdem habe ich nicht nur mit Patienten mit Tinnitus und Schwerhörigkeit gearbeitet, sondern auch mit anderen Störungen wie z.B. Angst oder Depression mit Erwachsenen aber auch mit Kindern und Jugendlichen. In meiner therapeutischen Praxis habe ich beispielswiese mit einem Paar herausgearbeitet, wie problematisch es für die schwerhörige Frau ist, dass ihr Mann meist in ihrem Namen antwortet und dass sie sich dadurch abhängig und „bemuttert“ von ihrem Mann vorkommt. Zunächst war dies dem Ehemann gar nicht bewusst, er hatte es „gut gemeint“. Phrasen wie „ich hab‘ es doch nur gut gemeint“ lösen häufig keine Probleme. Insofern kann „Das Gegenteil von ‚gut‘ ist ‚gut gemeint‘.“ als Antwort darauf verstanden werden. Unabhängig von der Intention kann das Ergebnis schlecht sein. In Ehen, in denen ein Partner oder beide von Schwerhörigkeit betroffen sind, kommt häufig die Beschwerde auf, dass man nicht mehr so oft miteinander spricht und die Gespräche nicht so stark in die Tiefe gehen wie vor dem Auftreten des Hörproblems (Govender et al. 2014). Aus der Familien- und Paartherapie heraus hat sich eine systemische Sicht entwickelt. Demnach sind Paare kommunizierende Systeme, die aus der Wechselwirkung und Rückkopplung ihrer Botschaften in Handlungen oder Wort verstanden werden können (Schmidbauer, W. 2014, S. 289). Durch den oft ungebetenen Gast der Schwerhörigkeit in einem System verändert sich über die Zeit hinweg vieles in der Kommunikation, das ist immer wichtig, sich im Umgang als Hörgeräteakustiker mit der „Kundschaft“ bewusst zu machen. Dass Frauen infolge Schwerhörigkeit mehr Einbußen in ihrer Lebensqualität erleben als Männer ist Gegenstand verschiedener Studien (Turunen-Taheri et al. 2018). Wer nicht hört, was andere ihm sagen, der wird auch nicht gehört. Denn das Ohr ist das „sozialste“ Organ. Hören und Verstehen bedeuten dazuzugehören. „Kommunikative Beziehungen sind nicht alles! – Aber ohne kommunikative Beziehungen ist alles nichts!“ (Hintermair, 2011).
Um gut kommunizieren zu können ist es auch wichtig immer wieder auf und in sich selbst zu hören. Dafür gibt es eine schöne tägliche Übung, die auf lange Frist hin auch noch glücklich machen kann:
- Wofür bin ich heute dankbar gewesen?
- Worüber habe ich mich heute gefreut?
Führt man ein Tagebuch mit diesen Punkten (zum Beispiel in dem man jedes Mal drei Aspekte zu jeder Frage notiert) und liest regelmäßig darin, kann das eine kleine, aber sehr wirksame therapeutische Strategie sein, die es sich auszuprobieren lohnt. Am besten ohne perfektionistische Ansprüche, es reicht an drei bis vier Tagen die Woche, sonst läuft man Gefahr von sich selbst enttäuscht aufzugeben und nicht in den Genuss zu kommen zu erleben, wie schön es sein kann dieses Ritual zu etablieren und positive Erinnerungen zu aktivieren und im Gehirn zu verankern.
Für mich ist es eine Herzenssache zu guter Kommunikation beizutragen, ich sehe das als Vision und Mission. Jeder kann etwas dazu beitragen, die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. Ein Zitat von Albert Einstein bringt das auf den Punkt: Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.
Achtsamkeit ist nicht alles aber ohne Achtsamkeit lässt sich Kommunikation nicht vertiefen
Beziehungen sind so wichtig. Menschen sind Gemeinschaftswesen, aber manchmal ist es schwierig, mit anderen Menschen zurechtzukommen. Das ist auch ohne Hörschwierigkeiten so und mit Schwerhörigkeit eben noch schwieriger. Achtsamer Kontakt kann die Qualität der Beziehungen zu anderen Menschen wirksam verbessern. Achtsamkeit trägt zur Verbesserung der Kommunikation bei. Wenn Sie mit ihrem Gegenüber sprechen, versuchen Sie, achtsam zu kommunizieren. Das bedeutet zunächst, dass Sie voller Aufmerksamkeit zuhören, was Ihr Gegenüber sagt. Nehmen Sie Ihre Gedanken und gegebenenfalls Ihren Wunsch, etwas einzuwerfen oder zu entgegnen wahr, aber geben Sie ihm nicht nach und lenken Sie ihre Aufmerksamkeit wieder zurück auf ihren Gesprächspartner. Wenn Sie zuhören, nehmen Sie nicht nur den Inhalt dessen wahr, was Ihr Gegenüber sagt, sondern auch den Ton der Stimme und die darin enthaltenen Gefühle. Das ist tief gehendes Zuhören. Wenn Sie sprechen, bleiben Sie authentisch und versuchen Sie nicht, Ihr gegenüber zu beeindrucken. Nehmen Sie den Ton Ihrer Stimme wahr, während Sie sprechen, und versuchen Sie, Ihre Worte in einem angebrachten Tempo über die Lippen zu bringen. Je achtsamer Sie in einem Gespräch sind, desto seltener reden Sie aneinander vorbei und desto häufiger gelingen wirklich gute Gespräche. Achtsamkeit heißt eher bewusst, statt automatisch zu reagieren. Wenn Sie sich beispielsweise angegriffen fühlen, müssen Sie nicht gleich reflexartig reagieren, sondern können einen Schritt von der Erfahrung zurücktreten und erst reagieren, wenn sie die Optionen erwogen haben. Sich ärgern und dies in der Reaktion auf Ihr Gegenüber spüren zu lassen, ist vielleicht nicht die beste Vorgehensweise. Wenn Sie achtsam in sich hineinhören, haben Sie die Wahl, anders als automatisch zu reagieren. (Shamash & Marshal, 2014, S. 337). Es besteht allerdings ein Unterschied in der Theorie und der Praxis, selbst geübte Kommunikationsexpert*innen tappen in Fettnäpfchen und Fallstricke.
Warum ist gutes Hören psychologisch so bedeutsam?
Mit gesunden Ohren bleibt häufig die Bedeutsamkeit der Wahrnehmungsebene „Hören“ weitgehend unreflektiert. Gutes Hören gibt uns Lebensfreude und Lebensenergie. Wir können aktiv am Alltag teilhaben, soziale Kontakte mit besserem Hören mit weniger Kommunikationsschwierigkeiten pflegen. Gerade heutzutage ist der Anspruch an gute Kommunikation höher denn je. Das Belegen schon die Kursagebote für gute Kommunikation auch für normal Hörende. Aktiv sein, engagiert am sozialen Leben teilhaben, ist das Ziel immer mehr Menschen. Die Zugehörigkeit zum Beispiel zu einem Verein oder das Ausüben einer ehrenamtlichen Tätigkeit sind dann nur zwei Sachen von vielen.
Ein gutes Gehör ist auch für die Sicherheit im Alltag, besonders auf der Straße wichtig. Nur mit einem guten Gehör hören wir, ob sich uns ein Auto oder Bus oder eine Straßenbahn nähert und wir stehen bleiben müssen, um keinen Unfall zu verursachen und selbst nicht zu Schaden zu kommen. Und, ein gutes Gehör hält uns „geistig fit“ Dazu gibt es in den letzten Jahren viele wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Bücher, die sich mit diesem Thema befassen (Sünder & Borta, 2019). Auch Expertenkommissionen zählen die Erhaltung guter Hörfähigkeit und die Erhaltung der sozialen Kommunikation als Prävention dementieller Erkrankungen (Schippinger & Pichler 2023).
Ihnen ist aus ihrer täglichen Arbeit mit den Schwerhörigen bekannt, dass für viele Schwerhörigen die Teilnahme an Familienfeiern und Festen problembehaftet ist. Wenn der Geräuschpegel hoch ist und es viele Nebengeräusche gibt, gelingt es zunehmend schlechter den Gesprächen zu folgen. Dies kann psychologische Auswirkungen haben. Einsamkeit, Frustration, Schuldgefühle, mangelndes Verständnis und schwindende Wertschätzung füreinander sind mögliche Folgen und belasteten sowohl Schwerhörige als auch deren Umfeld. Ältere Menschen mit Schwerhörigkeit entwickeln häufiger Depressionen als Personen ohne dieses Handicap, das Bestätigen auch die Ergebnisse einer großen Longitudinalstudie (Kim, 2023).
Schwerhörigkeit bedeutet, dass bestimmte Frequenzen oder Lautstärken schwerer zu hören sind. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass Sie immer laut sprechen müssen. Es ist wichtig, individuelle Erfahrungen und Bedürfnisse zu berücksichtigen, anstatt sich auf Klischeevorstellungen zu verlassen.
Zunächst: Kommen Sie aus der Klischeeschublade heraus! Schwerhörigkeit geht mit zahlreichen Klischees einher, die jedoch häufig Kränkungen auslösen, da sie nur selten der Realität entsprechen. „Wer Hörgeräte trägt, ist alt.“, „Wer etwas beim ersten Mal nicht verstanden hat, wirkt eingeschränkt“ oder „Mit schwerhörigen Menschen muss man immer laut sprechen“. Das ist nicht der Fall! Sie als Akustiker*in wissen das natürlich, aber häufig zeigt sich, dass das Umfeld der schwerhörigen Menschen dies nicht in diesem Maßen verinnerlicht hat und sich Ihnen hier die Rolle des „Vermittler“ anbietet.
Bekannte Hörtaktiken zur Verbesserung der Kommunikation
Schwerhörige und Ihr Umfeld müssen sich immer wieder neu verstehen lernen. Menschen, die schlecht hören, sollen bei Nichtverstehen nachfragen oder störende Hintergrundgeräusche unterbinden. Indem im Gespräch versucht wird, zu einer entspannten Gesprächssituation beizutragen, das Gesagte bereitwillig wiederholt wird, Blickkontakt gehalten wird und auf eine deutliche Aussprache geachtet wird, werden Möglichkeiten für eine gelingende Kommunikation geschaffen. Zugewandtheit und Respekt voreinander sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen. Aber es ist auch hilfreich mit sich selbst Nachsicht zu üben, denn selbst wenn man von sich eigentlich glaubt einen guten Umgang und „richtige“ Kommunikationsgewohnheiten zu haben, macht man Fehler. So bin ich, selbst als Psychotherapeutin mit vielen Kursen in Gesprächsführung oder gewaltfreier Kommunikation nicht gefeit davor, in falsche Muster zu fallen oder auch Streitgespräche ebenso mit meiner normalhörenden Familie als auch mit meinem schwerhörigen Vater nicht immer nach allen „guten“ Regeln auszufechten. Hier gilt es auch selbstfürsorglich immer wieder Fehler einzugestehen und Nachsicht zu haben, dass es nicht leicht ist, seine Kommunikationsgewohnheiten immer achtsam im Blick zu haben und selbstoptimiert umzusetzen. Dennoch gibt es viele Strategien, die hilfreich sind. Mit Hörtaktik oder Kommunikationsstrategien sind jene Verhaltensweisen gemeint, die schwerhörige Personen in der Kommunikation mit anderen Menschen unterstützen sollen. In ihrem Buch „Seh- und Höreinbußen älterer Menschen: Herausforderungen in Medizin, Psychologie und Rehabilitation“ führen Tesch-Römer und Wahl eine Übersicht über Hörtaktiken auf, die Ratschlägen für den Umgang zwischen Schwerhörigen und Normalhörenden zusammenfassen, die ich hier wiedergeben möchte. Viele der Strategien sind sicherlich bekannt, aber hier nochmals gut zusammengefasst.
Es gibt Kursangebote zu vielen Themen, sucht man jedoch nach Kommunikationstrainings für schwerhörige Menschen, scheint das Angebot rar, dies gilt umso mehr für psychotherapeutische Interventionen (Tesch-Römer & Wahl, 1996). In Ihrem praxisorientierten Handbuch „Psychotherapie für Menschen mit Hörbehinderung“ führt Dr. Neef an, dass selbst Psychotherapeuten „Berührungsängste“ im kommunikativen Sinne haben (Neef, 2019). Zum Stigma Schwerhörigkeit gibt es eine Reihe empirischer Studien und Ansätze zur Erhöhung der Akzeptant von Hörsystemen. (Pelz, 2007). „Es ist paradox. Die Betroffenen befürchten, dass ihr Hörverlust für andere erst durch die Verwendung des Hörgerätes sichtbar wird und nur dann als Behinderung interpretiert wird. Dabei ist die Beeinträchtigung durch den unbehandelten Hörverlust viel größer und wird von den Mitmenschen als viel störender erlebt als der Gebrauch von modernen, auch optisch ansprechenden Hörsystemen“ (Pelz, 2007).
Mit dem technologischen Wandel und der Veränderung der Hörsysteme in den letzten 30 Jahren hat sich das Bild vom großen Klotz am Ohr, hin zu teilweise fast unsichtbaren Systemen, mit innovativen Ausstattungsmerkmalen und künstlicher Intelligenz versehenen Geräte verändert. Welchen Eindruck haben Sie, in welchem Verhältnis zur Entwicklung neuerer Hörsysteme hat sich die Akzeptanz verändert? In welchem Maße ist die Akzeptanz gewachsen?
Es erscheint sinnvoll, nach der subjektiven Belastung durch Höreinbußen im Alter sowie nach psychologischen Bewältigungsprozessen zu fragen. Wie bewerten ältere schwerhörige Menschen die mit abnehmender Hörfähigkeit verbundenen Belastungen? Wie gehen altersschwerhörige Menschen mit Kommunikationssituationen um, in denen sie hörbedingte Verständigungsprobleme haben?
Bislang ist es nicht möglich das Auftreten von Schwerhörigkeit weder generell noch durch beispielsweise spezifische präventive Maßnahmen zu verhindern, obwohl es sicher sinnvoll ist, sich durch geeignete Vorkehrungen gegen übermäßige Beschallung zu schützen, um das Eintreten von Lärmschwerhörigkeit zu vermeiden. Lärm hat eine häufig unterschätzte Wirkung. Zu psychophysischen Auswirkungen von Lärmeinwirkung zählt beispielswiese die Beeinträchtigung kognitiver und psychomotorischer Funktionen, der Konzentration- und Reaktionsfähigkeit. Neben vegetativen Reaktionen wie Schlafstörungen gibt es auch affektive Reaktionen durch neurobiologische Kopplung der Hör- und Emotionszentren des Gehirns (Marek, 2009).
Schwerhörige sind sich der sozialen Konsequenzen der Hörminderung nicht immer bewusst (Moser et al. 2017). Welche Einschränkungen die Schwerhörigkeit im Alltag mit sich bringen, wird durch audiologische Messungen allein nicht deutlich und welche Erwartungen an eine Hörsystemversorgung und gute Kommunikation gestellt werden, kann allein im direkten Kontakt und Gespräch vertieft werden. Es gehört auch Mut dazu, etwas nicht zu wissen und es auch zugeben zu können und noch mehr dazu nachzufragen. In unserer Welt spielt „Wissen“ eine wichtige Rolle und leistet uns zweifellos wertvolle Dienste. Nichtwissen hingegen führt oft zu Fehlern, die leicht zu vermeiden gewesen wären. Zwischen Wissen und Nichtwissen verbergen sich großartige Chancen. Vielleicht können Sie auch manchen schwerhörigen Menschen mit gutem Beispiel vorangehen und Fragen, die sie nicht sofort beantworten können, Aussagen treffen wie „Ich weiß es nicht, aber ich möchte es herausfinden“. Das bietet Potenzial zu Wachstum. Gemeinsam kann man dann über unerwartete Wege zu neuen Lösungen und großartigen neuen Erfahrungen finden. Fachwissen ist zwar enorm hilfreich, aber bleibt ein Werkzeug in einem sehr großen Toolset.
Psychologische Hintergründe der Erwartungshaltung
Psychologisch gesehen spielt gerade die Erwartungshaltung eine große Rolle. Der Kunde erwartet oft zu viel: Wie beim erstmaligen Brilleaufsetzen will er dank Hörsysteme wieder so hören, wie er es 20 bis 30 Jahre zuvor noch vermochte. Dies führt (allzu) oft zu Enttäuschungen: „Hören kann ich jetzt wieder, aber das Verstehen ist nicht wirklich besser“ ist eine Ihnen sicherlich bekannte Aussage, oder auch: „Sprache ist lauter, aber in dem ganzen Lärm kaum zu verstehen“ und „…so ist das nicht auszuhalten…“ Sind häufige Reaktionen und Erfahrungen von Betroffenen. Das war einer der vielen Gründe, warum die terzo®Gehörtherapie entwickelt wurde an deren Entwicklung ich maßgeblich beteiligt war.
Ob Schall subjektiv als belästigend empfunden wird, hängt auch von der Einstellung des Individuums zum Hörereignis ab. Neben der allgemeinen Verfassung spielt der Informationsgehalt von Schallereignissen eine Rolle für deren Bewertung und für das Auftreten von damit verbundenen Gefühlen. Unter phylogenetischen Gesichtspunkten ist diese auditive und emotionale Kopplung nachvollziehbar. Das auditorische System ist entwicklungsgeschichtlich eines der ältesten Organsysteme. Die Aufnahme und Verarbeitung von Schall ist für die geistige und körperliche Entwicklung notwendig. Hören ist für das Erlernen von Sprache eine unverzichtbare Voraussetzung. Insofern sind Hören und Sprechen zwei miteinander verbundene soziale Funktionen des Menschen. Vor Tausenden von Jahren wurde das Überleben eines Menschen entschieden von seiner Hörfähigkeit bestimmt. Insbesondere in der Nacht war der Hörsinn die Sinnesfunktion für die Erkennung und Bewertung herannahender Gefahren. Ohne Hören hätte sich die hochdifferenzierte menschliche Sprache nicht entwickeln können. Wie sich Hörstörungen auf die Sprache auswirken, zeigt die Artikulation von Menschen mit lärmbedingen Schallempfindungsstörungen. Die Hörkontrolle der eigenen Stimme insbesondere der Zischlaute entfällt, als Folge werden diese Laute laut und dumpf gesprochen (Marek, 2009).
Auch wenn die künstliche Intelligenz im Bereich der Hörakustik bereits Einzug gehalten hat, die herstellerabhängig verschiedene Formen hat, ist als Fazit zu sagen, dass nicht abzusehen ist, ob es jemals die direkte Kommunikation im Face-to-Face Kontakt ersetzen wird. Wann hatten Sie zuletzt ein Gespräch, bei welchem Sie das Gefühl hatten, Ihr Gegenüber zu verstehen und welche Gefühle löst es in Ihnen aus, wenn Sie in einem Gespräch wirklich das Eindruck haben, „gehört“ zu werden?
Literaturliste:
- Hörstörungen stellen die am häufigsten von Menschen über 60 Jahren beschriebene Behinderung dar (vgl. Fozard 2001).
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- Fozard, J. & Gordon-Salant, S. (2001). Changes in Vision and Hearing with Aging. In J. E.
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- San Diego: Academic Press.
- Gebhardt, C. (2006) Hören mit Hirn. Dissertation Uni Freiburg
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